Titten, Titten, Titten!!!
Ihr entschuldigt, aber ich wollte mir der gesamten Aufmerksamkeit des Forums sicher sein. Jetzt, wo dies nun zweifelsohne der Fall ist, können wir uns dem eigentlichen Thema meines bescheiden Beitrags widmen.
Wenn in unseren Breiten die Nächte länger und die Tage grauer werden, sich frühmorgens Nebel über die Wälder legt und die Quecksilbersäule nur mühsam am zweistelligen Gradbereich kratzt, fiebert ein Berufsstand der Neuauflage eines unscheinbaren roten Büchleins entgegen. Nein, es handelt sind nicht um die Kadergruppe kommunistischer Nachwuchsführungskräfte in China und besagtes Werk ist auch nicht die Mao-Bibel. Gemeint ist der Guide Michelin, der kurz vor Jahresende die Elite der internationalen Spitzengastronomie mit Bewertungssternen kürt. Ein nicht hoch genug einzuschätzender Wirtschaftsfaktor, kann und wird sich doch diese Auszeichnung für den Prämierten zum wahren Publikumsmagneten entwickeln. Gesellt sich dann noch ein zweiter oder womöglich sogar dritter dieser begehrten kleinen Himmelskörper hinzu, kann der solchermaßen Bedachte mit Fug und Recht von sich behaupten, einer der Größten seiner Zunft zu sein.
Was nun einem exklusiven Fünfgängemenü recht ist, sollte wiederum Frauen und Autos nicht weniger billig sein: Nette Verpackung ist verpflichtend, aber der Genuss darf nicht zu kurz kommen:
Fahrbericht Mercedes Benz S320 CDI
Da steht er nun, in staatstragendem Obsidianschwarz lackiert: der W221. Von außen ein fesches, wirklich gelungenes Fahrzeug, daran gibt's nix aber auch wirklich garnix zu deuteln. Die Front wirkt böse, besitzt jedoch nicht die Bulligkeit des E65 VFL. Ich mag die gefälligen Linienführungen, die ausgewogenen Proportionen, den klassisch eleganten AUftritt. Das komplette Gegenteil zum wuchtigen E65, eine neue, eine andere Welt und wie es nun mal so ist, haben anderen Welten auch andere Sprachen.
In vielen Fällen beschreibt ein korrespondierendes Begriffspaar die identische Umsetzung ein und desselben Sachverhaltes. So stellen dem Fahrzeugführer sowohl BMWs "Night Vision" als auch der "Nachtsichtassistent" von MB ein Infrarotbild der nächtlichen Umgebung bereit. Lediglich im Projektionsort unterscheiden sich beide Systeme. Ist es beim E65 der unter dem mittigen Kamelhöcker der Armaturentafel positionierte Bordmonitor, so muss beim Mercedes der Analogtacho im KI dem Graustufenbild weichen. Nadel und Skala sind lediglich eine Displaysimulation.
Ein Bisserl anders verhält sich das Ganze schon beim PTS, dem Parktronic System von Mercedes, welches der weißblauen Welt unter dem Namen PDC (Park Distance Control) geläufig ist. Anstelle einer schematischen Darstellung im Bordcomputer kommen im Mercedes vier LED-Reihen zum Einsatz. Jeweils zwei prangen paarweise in der Mitte des Armaturenbrettes sowie - eingelassen in den Dachhimmel - im Fondbereich. Im Unterschied zum BMW, den man, geringes Maß an Übung vorrausgesetzt, blind und nach Gehöhr rangieren kann, ist im Mercedes Augenmaß gefordert: Bedächtig baut sich ein Balken aus orangfarbenen Diodenen auf und erst, wenn eine der letzten beiden (roten) LEDs ihren Dienst verrichten, meldet sich das Arbeitsgerät mit einer (dafür umso durchdringenderen) akustischen Mitteilung. Ich taufe diese despektierlich "Rentneralarm", obgleich das Fahrzeug so ganz und gar nicht dem in der Vergangenheit etwas angestaubten Image der schwäbischen Automobilschmiede entspricht. Im Gegenteil zeigt sich die S-Klasse im Vergleich zum vier Jahre älteren Münchener Bruder viel eher auf der Höhe der Zeit: Bügellose Scheibenwischer, Festplattennavigation und unterschiedlichste Einstellmöglichkeiten, die ohne Werkstattbesuch in Eigenregie vorgenommen werden können: Tagfahrlicht, Begrüßungslicht (eine erweiterte Variante der Heimleuchtfunktion), Brasilienschaltung™, Schlüsselabhängigkeit, alles, was selbst ein E60 beherrscht, sein großer Bruder E65 aber bis zum Produktionsende vermissen ließ.
Ich aktiviere den Totwinkel-Assistenten, der mir farbige kleine Dreiecke in die Außenspiegel zaubert. "Herzallerliebst", denke ich, "wie einst meine bunten Spielzeugbausteinchen. Ich frage mich immer noch, wie ich in meiner Kindheit nur ohne Handy, Wii und hochauflösenden Plasma-TV auskommen konnte." Das Ignorieren einer
roten Pyramide, also der Versuch zum Spurwechsel aktiviert einen Warngong, welcher mich dezent auf mögliche unerwünschte Konsequenzen hinweist. Gleiches widerfährt mir übrigens, wenn Abstandswarnelektronik und meine biologische Fahrdynamik keinen gemeinsamen Nenner finden.
Mal schaun, was so alles in Reichweite ist: Nicht so viel Krimskram rund um's Lenkrad wie im BMW. Ein einziger Multifunktionshebel für Blinker, Scheibenwischer und all den übrigen Mädchenkram, Distronik- und Gangwahlschalter. Wirkt übersichtlicher und erheblich solider. Der Fahrstufenhebel im E65 vermittelt im Vergleich den Eindruck, als wäre er von einer Kinderarbeitergruppe in einer brasilianischen Favela zwangsgefertigt und anschließend von fehlsichtigen Rentnern im Seniorenheim Brunsbüttel mit Silberbronze bepinselt worden. Gleiches gilt für den I-Drive-Cover. Die Stelle des lackierten Dreißigcentmascarponecremebechers nimmt im Mercedes Comand, der Über-50-jährigenfreundlichen Variante seines BMW-Pendants I-Drive, ein solider Drehknopf aus Metall ein.
Es sind diese liebevollen, verspielten oder praktischen Details wie die Retrouhr in der Mittelkonsole, die in der Handauflage über dem Comanddrehknopf integrierte Telefontastatur oder eine zusätzliche, nützliche Ablagefläche in der Mittelkonsole, die ich zu schätzen weiß.
Was soll's, ein Wagen ist schließlich zum Fahren da. Los geht's, aber schnell merke ich: Die Motorisierung ist für die eher ruhigen Stunden im Leben des Mercedesfahrers ausgelegt. Die letzte wahre Herausforderung, der sich der zeitgenössische Mann noch stellen kann, die Jagd nach Anerkennung, Ruhm und Erfolg auf deutschen Bundesautobahnen ist nicht die Berufung des kleinen Diesels. Stattdessen sind Geräuschkapselung und Fahrkomfort mustergültig. Die Luftfederung schluckt jede Bodenwelle und auch in ambitioniert gefahrenen Kurven liegt die schwere Limousine wie das sprichwörtliche Brett auf der Straße. Die Getriebeautomatik schaltet exakt und unauffällig, Fahrprogramm "S" sollte es allerdings schon sein.
Ich sitze gut, obgleich: im BMW sitze ich dann doch noch einen Tacken besser. Letzterer kann jedoch postwendend mit einem weiteren Wermutstropfen kontern: Im Unterschied zum "Nasca", welches BMW aus der Haut speziell gezüchteter Latexpolymerrinder gewinnt, verfügen die Sitzbezüge im Mercedes maximale Lederauthentizität.
"Wenn schon, denn schon" denke ich, "Mercedes Benz Distronic Plus, Agent Jays Autopilot schon heute in der Vorabversion -
Engage!"
Was soll ich viele Worte machen, man muss es mögen, das Reisen mit entkoppeltem Verstand. Was soll's, vorausschauende Fahrweise wird ohnedies überbewertet und Hypotoniker können den Reiz einer Überlandfahrt durch Reduktion des Distanzlevel auf "Minimum" erheblich intensivieren.
Nichtsdestotrotz stellt die aktive Abstandsfunktion im Stop-and-Go Verkehr ein echtes Komfortmerkmal dar. Wer häufig mit Staufahrten oder zähfließenden Verkehr konfrontiert ist, wird sie ungern missen wollen.
Es gäbe noch so viel zu schreiben. Die Türensoftclose, die fast geräuschlos arbeitet, die Heckklappenhydraulik, die butterweich und in Windeseile schließt, die Sprachsteuerung, die auch die Eingabe von Navigationszielen unterstützt, die SBC (Sensotronic Brake Control): Sie simuliert den typischen Gegendruck des Bremspedales, gibt die Informationen jedoch in digitaler Form an die Steuerelektronik weiter. Ein kurzem Tritt bei stehendem Fahrzeug aktiviert die "Hold-Funktion", das beim Eingreifen von ABS typische Ruckeln und Scharren am Pedal entfällt ersatzlos. Sei es, wie es ist, Zeit für die Wertung.
Optik und Verarbeitungsqualität, Komfort und Platzangebot, Ergonomie und Haptik: allesamt mustergültig. Es gibt nur eine Sache, die mich hindern würde, dieses Fahrzeug zu kaufen.
Es ist langweilig.
Es fehlt etwas in der perfekten Welt des Mercedes S-Klasse. Schwer zu formulieren, was es ist. Schwer zu formulieren, warum eine schöne Frau nicht jedermanns Typ ist. Schwer auch zu formulieren, was den perfekten Genuss ausmacht. Ist es nicht schizofren, wie oft Emotion im täglichen Leben Verstand schlägt?
Oft, zu oft, aber nicht in
Ulis Bewertung und deshalb erhält der Wagen mit dem Stern
drei Sterne. Es ist ein schicker Mercedes, es ist ein grandioses Fahrzeug.